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Ein philosophisches Spannungsfeld zwischen Symbol, Tradition und Zeitgeist



Die Freimaurerei, ein traditionsreicher Bund mit Wurzeln in den Bauhütten des Mittelalters und spirituellen Schulen der Aufklärung, versteht sich als Weg der individuellen Vervollkommnung. Dennoch stellt sich im 21. Jahrhundert die kritische Frage,

Warum bleibt die Aufnahme von Frauen in der sogenannten „regulären Freimaurerei“ bis heute weitgehend ausgeschlossen?

Dieses Essay versucht keine moralische Rechtfertigung, sondern eine philosophische Annäherung an eine komplexe, vielfach missverstandene Praxis, die zwischen Mysterientradition, Symbolsprache und gesellschaftlichem Wandel oszilliert.

Der Mensch als Symbolträger – nicht als biologisches Wesen

Zunächst ist festzuhalten.

In der Freimaurerei ist der „Mann“ keine rein biologische Kategorie, sondern ein Träger symbolischer Bedeutung.

Der „freie Mann von gutem Ruf“ wird nicht primär als geschlechtliches, sondern als archetypisches Wesen verstanden. Die rituelle Arbeit des Freimaurers ist eine Allegorie auf die Vervollkommnung eines bestimmten Menschenbildes, der mit Verstand, Gefühl und Wille den „Tempel der Humanität“ errichtet.

Aus dieser Perspektive heraus ist der Begriff des Mannes symbolisch aufgeladen. Er steht für den tätigen Pol, den schöpfenden Geist, das Prinzip der Formgebung , wie in der alchemistischen oder hermetischen Tradition das männliche Prinzip dem aktiven Logos zugeordnet wird. In dieser Symbolsprache ist der Ausschluss der Frau also kein Urteil über ihr Wesen, sondern Ausdruck eines rituellen Archetypus.

Doch genau an diesem Punkt beginnt das philosophische Spannungsfeld.⸻

Die rituelle Ordnung und die Zweiheit der Prinzipien

In vielen spirituellen Traditionen, von der chinesischen Yin-Yang-Lehre bis zur Kabbala, basiert die Welt auf der Polarität, männlich und weiblich, aktiv und passiv, gebend und empfangend. Diese Dualität ist schöpferisch und notwendig.

Die Freimaurerei hat sich historisch dafür entschieden, den rituellen Raum auf ein Prinzip – das männliche – zu fokussieren, um es exemplarisch zu bearbeiten. Die Frau wurde dabei nicht verachtet, sondern außerhalb des Tempels symbolisch als Mysterium bewahrt.

Der rituelle Ausschluss der Frau ist daher aus freimaurerischer Sicht keine gesellschaftliche Diskriminierung, sondern eine künstlich gesetzte Einheitlichkeit des initiatischen Feldes. Es geht darum, einen homogenen Raum zu schaffen, in dem die Arbeit an einem bestimmten Aspekt des Menschseins möglich ist, vergleichbar mit einem Labor, das bestimmte äußere Einflüsse ausschließt, um Konzentration und Tiefe zu ermöglichen.

Der symbolische Raum als Spiegel des Inneren

Die freimaurerische Loge ist ein Raum des Rituals, nicht der Gesellschaft. Ihre Regeln gehorchen nicht dem politischen Zeitgeist, sondern der inneren Logik ihrer Symbole. Der „Lehrling“, der den rauen Stein behauen soll, steht exemplarisch für einen Teil des Menschseins, der unabhängig vom Geschlecht als „unbearbeitet“ und entwicklungsfähig verstanden wird. Die Arbeit an diesem Stein ist eine spirituelle, keine gesellschaftliche. Die Loge ist kein Parlament, sondern ein Spiegel innerer Ordnung.

Die Zeitfrage – und das Erwachen der anderen Hälfte

Doch diese Philosophie, so tief sie auch sein mag, entzieht sich nicht der Zeit. Die Gegenwart fragt nicht nur nach Symbolen, sondern nach Gerechtigkeit, Teilhabe und Anerkennung. Frauen, so wird mit Recht eingewandt, sind ebenso geistig schöpferisch, moralisch verantwortungsvoll und spirituell suchend wie Männer. Warum also sollten sie vom inneren Tempel ausgeschlossen bleiben?

Tatsächlich hat sich diese Spannung längst in der Realität aufgelöst – zumindest teilweise. In vielen Ländern existieren seit Jahrzehnten Frauenlogen sowie gemischte Obödienzen, die dasselbe Ritual mit dem weiblichen oder dualen Prinzip verbinden. Die Trennung ist also längst keine absolute mehr, sondern Ausdruck verschiedener spiritueller Herangehensweisen.

Es ist denkbar – ja vielleicht sogar notwendig –, dass sich diese Entwicklung weiter fortsetzt. Denn die Wahrheit ist nicht monolithisch, sondern lebendig.

Die Freimaurerei lebt im Spannungsfeld zwischen Tradition und Transformation. Ihr Ausschluss der Frau war nie eine Herabwürdigung des Weiblichen, sondern eine symbolisch-rituelle Setzung innerhalb eines bestimmten spirituellen Modells. Doch jedes Symbol altert, wenn es nicht in lebendiger Beziehung zur Welt steht.

Vielleicht ist es an der Zeit, dass die Freimaurerei selbst den Schritt in eine neue Symbolik wagt – eine, in der das weibliche Prinzip nicht nur als Idee, sondern als gelebte Gegenwart im Tempel wirkt. Vielleicht aber hat jede Form – ob männlich, weiblich oder gemischt – ihre eigene Tiefe, ihre eigene Berechtigung.

Die Philosophie verlangt keine Uniformität, sondern Bewusstheit. In diesem Sinne ist die Frage, ob Frauen aufgenommen werden sollen, nicht bloß eine politische, sondern eine spirituelle. Und ihre Antwort wird nicht in Paragrafen stehen, sondern im Herzen derer, die den Tempel errichten – Stein für Stein, Symbol für Symbol, Mensch für Mensch.